We must eat our suckers with the wrappers on...
A piece by Robyn Orlin

World premiere: Paris 02/02

In collaboration with 15 performers from the Market Theatre Laboratory

Concept/ choreography and direction: Robyn Orlin
Tour manager: Michael Maxwell
Stage manager: Thabo Pulle
Assistant stage manager: Mchunu Mthokosizi
Administration: Damien Valette

Coproductions: City Theater & Dance Group - Théâtre de la Ville, Paris- Rencontres Choréographiques Internationales de Seine-Saint-Denis, FNB/Dance Umbrella.

Süddeutsche Zeitung, 04.03.2003

Agit-Lollipop
Robyn Orlins "We Must Eat our Suckers…"

Von Eva-Elisabeth Fischer

Seit zwei Jahren liest man ständig ihren Namen in diversen Festival-Programmen. Und laut Aussage derer, die irgendeine ihrer Arbeiten bereits gesehen haben, sei ihr performatives Tanztheater eminent politisch.

Robyn Orlin, eine zierliche Erscheinung mit raspel-kurzem Rothaar und elektrisierender Energie, kann man mit Fug und Recht eine Weltbürgerin nennen.

Die Tochter litauischer Emigranten ist in Johannesburg aufgewachsen und arbeitete dort vorwiegend mit Schwarzafrikanern als kühne Verfechterin der Emanzipation im Post-Apartheid-Südafrika. Sie lebt ihrem Mann zuliebe die kommenden fünf Jahre in Berlin und sagte, dass sie sich in Europa vor allem sehr jüdisch fühlt. Aber weil der Impetus ihrer Stücke von den Straßen von Johannesburg kommt, muss sie immer wieder dorthin - um Workshops zu geben und Neues zu machen.

Deswegen sieht das Theater der Robyn Orlin so ganz anders aus als alles, was derzeit gemeinhin über hiesige Bühnen geistert als hirn-, sprach- und konzeptlastigem Tanz- und Spaßverweigerungstheater. Es ist spontan, direkt, dynamisch, darüber hinaus kommt ein durchaus aufklärerischer Habitus im Gewand des Agitprop hinzu, was hierzulande als hoffnungslos veraltet und politisch naiv betrachtet wird.

Es sind die ganz jungen Leute, die es im Frankfurter Theater am Turm von den Stühlen reißt, die mitstampfen und mitklatschen, um einzustimmen in den Schlussgesang der 15 Akteurinnen und Akteure, der die knapp 50 Minuten Aufführungsdauer auf eine Stunde verlängert.

Der Funke ist übergesprungen, auch wenn bei uns niemand die Botschaft in dieser Form braucht. Denn wir haben die entsprechenden Werbespots und Plakate, die für den Gebrauch von Kondomen werben.Wir sind zivilisiert, und bei uns verrecken die Leute nicht zu Zehntausenden an den Folgen von Aids wie in Afrika.

"We Must Eat our Suckers with the Wrappers on …" funktioniert wie nahezu alles, was man an Theater in den letzten zwanzig Jahren aus Südafrika gesehen hat, mit den ärmsten Mitteln und dem größten Effekt. Ein weißer Bühnenkasten, darin 15 Leute, 15 rote Plastikeimer, jede Menge rote Lutscher, zwei Videokameras, ein paar Plüschbärchen, einfache Glühbirnen.

Die Darsteller allesamt Absolventen der Schauspielschule im ersten Jahr ihrer Bühnenpraxis, sichtbar verschiedener Stämme und Dörfer entstammend, machen mit dem wenigen alles selbst. Sie bringen traditionelle Choräle zu Gehör, die zu singen inzwischen verpönt ist, weil sie fälschlicherweise mit der Leidenszeit der Apartheid assoziiert werden. Sie schlagen den Rhythmus auf Eimern und mit den Füßen, wie man es aus "Stomp" und "Gumboots" kennt. Sie animieren das Publikum, indem sie durch die engen Reihen wippen oder Zuschauern süße Lollis in den Mund stecken, die sie hinterher genüsslich ablecken.

Wir haben nichts mehr zu verlieren, kriecht es einem angesichts solcher derber Szenerie von hinten über den Rücken. Politische Agitation muss unverblühmt sei.
"Rodneys Monolog" lässt in dieser Hinsicht keine Wünsche offen. Lasziv zieht er seine Lutscher über Zunge und Lippen, ein Stricher, der sich über die Liebhaber dieser Nacht freut. Denn wer nur noch sechs Monate zu leben hat, will doch auch noch ein wenig Spaß. Die schwarzweißen Videobilder dramatisieren das Bühnen-geschehen durch extreme Zooms und Blickwinkel im Stil mitleidheischender TV-Dokumentationen. Männer wie Frauen tragen billige Kleidchen, wie sie sackweise aus westlichen Kleidersammlungen in afrikanischen Städten verhökert werden. Die Armut hat sie versaut und krankgemacht.

Robyn Orlin choreografiert die mögliche Zukunftsperspektive mit wie ein sanftes Korrektiv. Sie proklamiert die Rückbesinnung auf die eigene Identität. In landesübliche Karostoffe, aufgeblasene Kondome mit rotaufgemalten Gesichtern als wippende Köpfe obenauf, versammeln sich anonyme Gestalten zu einem beschwörenden Mummenschanz, ekstatischen Rundtänzen, die in ein Bild zarter Trauer münden. Links ein Haufen Schuhe, die die Akteure einigen Zuschauern ausgezogen haben, rechts ein Haufen Stofftiere - die ärmlichen Überreste toter Erwachsener und Kinder.

Da passiert im Kopf des Zuschauers doch einiges mehr, als die Kampfparolen des Abends auszulösen vermögen: "Der Kampf geht weiter!" "Benutzt Kondome!". Mit Unterstützung der französischen Regierung kann "We Must Eat our Suckers with the Wrappers on" in Afrika touren.